Thomas Krefeld
Mündliche und schriftliche Überlieferung
Aus der systematischen Kombination unterschiedlicher Datentypen lassen sich wechselseitig nützliche methodische Prinzipien ableiten, wie sich ausgehend von der Toponymie exemplarisch zeigen lässt. Dieser Datenbestand ist für die Sprachgeschichte, speziell für die umfassende historische Rekonstruktion eines bestimmten Raums von grundlegender Bedeutung. Die Forschungsbedingungen sind jedoch alles andere als einfach: Namen ('nomina propria') werden wie Appellative mündlich tradiert und sind daher dem allgemeinen Sprachwandel unterworfen, aber im Unterschied zu den Appellativen sind die rezenten dialektalen Formen oft nicht zugänglich, da sie im öffentlichen Raum und in der verfügbaren Kartographie in aller Regel durch standardsprachliche Äquivalente ersetzt werden; dabei ist mit zahlreichen Volksetymologien zu rechnen. So entspricht z.B. dem hochsprachlichen Gumattenkirchen, in der Gemeinde Mettenheim in Oberbayern, eine dialektale Form Gummaring, die zum Typus der -ing(en)-Namen zu stellen wäre (Beispiel von Markus Kunzmann).
Darüberhinaus haben wir weder aus der Antike noch aus dem frühen Mittelalter eine flächendeckende schriftliche Überlieferung, sondern allenfalls sporadische Zeugen, so dass die Toponomastik weithin und dauerhaft auf höchst prekäre Datenbestände angewiesen belieben wird.
In einem ersten Schritt müssen drei Klassen von Toponymen relativ klar und zunächst weitgehend interpretationsfrei unterschieden werden, so dass der interpretationsbedürfitige und problematische Namenbestand umrissen werden kann.
(1) Toponyme mit evidenter Kontinuität
Die erste Gruppe von Toponymen zeichnen sich durch eine evidente historische Kontinuität aus: Entsprechende Namen sind bereits in der Antike bezeugt und finden sich in frühmittelalterlichen schriftlichen Zeugnissen in einer Form, die nach Maßgabe der historischen Phonetik als Fortsetzung der antiken Form anzusehen ist. In diesem Sinn eindeutig ist der Fall des Stadtnamens Kempten (< kelt. *cambo ‚gekrümmt‘ + *dunon ‚Burg, hochgelegener Ort‘) angesichts der in von Reitzenstein 1991, 203 dokumentierten Beleglage:
- 1. Jh. n. Chr. Καμβόδουνον (Strabon, Kopie aus dem 12. Jh.)
- 201 Camb(oduno)
- undatierte Inschrift Cambodvno
- 3. Jh. n. Chr. Camboduno (Kopie aus dem 7./8. Jh.), so auch in der Tabula Peutingeriana
- 425-430 Cambidano (Kopie aus dem 15./16. Jh)
- 815 Cambidona
- 817 Campita (Druck von 1629)
- 831 Campitona
- 844 Cambidona
- 981 Kembeduno (Kopie aus dem 10. Jh.)
- 1063 Kembeten (Kopie aus dem 12. Jh.)
- 1263 Kemptun
- 1295 Kempton
- 1355 Kempten
Ein wichtige, weil meistens gut georeferenzierbare Quelle ist die so genannte Tabula Peutingeriana, die über die Interaktive Karte (→ 'Außersprachliches') von VerbaAlpina abrufbar ist.
Darunter sind im Untersuchungsgebiet eine ganze Reihe von Namen mit evidenter Kontinuität:
In kartographisches Darstellung:Tabula Peutingerina-Orte mit Namenskontinuität
(2) Orts- und Gewässernamen aus der Fremdbezeichnung von Romanen
Die zweite, allerdings nicht sehr umfangreiche Gruppe besteht aus Namen, mit denen in der Zeit der germanischen Aufsiedelung (und der bairischen Ethnogenese) die ansässige Bevölkerung von den Germanen explizit als Romanen bezeichnet wurden. Diesem Typ liegt die auf den gallischen Stammennamen der Volcae (vgl. Scardigli 2006) zurückgehende germ. Basis *walha zu Grunde (vgl. FEW 17, 490 s.v. *walhisk) , mit der im alemannischen, bairischen, slavischen und ungarischen Sprachkontaktraum verschiedene romanischen Sprachen benannt werden: alemannisch welsch ‚französisch‘, bair. walsch ‚italienisch‘, dt. walachisch ‚rumänisch‘ (vermittelt über slav. vlahŭ, wozu auch pol. włoch ‚italienisch‘), slov. lah ‚Italiener‘, ung. oláh‚rumänisch‘ und olasz ‚italienisch‘ etc. (vgl. Tagliavini 1973, 123, n. 13). Die Verbreitung des Worttyps (der im übrigen auch hinter den britischen Regional- bzw. Sprachbezeichnungen Wales und welsh steht) zeigt, dass hier ebenfalls von einer ganz allgemeinen Grundbedeutung im Sinne von ‚romanisch‘ auszugehen ist. Diese Fremdbezeichnung ist in einem kleinen Gebiet, im romanischsprechenden Teil des heutigen Belgiens, der Wallonie, sowie bei einem Teil der südosteuropäischen Rumänien sogar zur Selbstbezeichnung (wallon) geworden: Die Meglenorumänen in Nordwesten von Thessaloniki nennen sich vla, vlau (pl. vlaş) ‚Walachen‘ (Dahmen 1989a, 436) und die Istrorumänen neben rúmuni im Süden auch vlås, vlåš bzw.Morlaken (< gr. mavroblachoi ’schwarze Walachen‘; Dahmen 1989 448).
In den entsprechenden Orts- und Gewässernamen mit der Basis walch (Walchstadt,Walch[en]see etc.) oder auch wal(l) (Walensee, Walenstadt, Wallgau etc.) darf man daher einen relativ verlässlichen Hinweis auf die Existenz romanischer Bevölkerung zur Zeit der germanischen Landnahme sehen (vgl. Schwarz 1970).
(3) Toponyme mit rekonstruierbarer romanischer Etymologie
Alle verbleibenden Namen des ehemals romanisierten Gebiets bilden die größte und problematischste Gruppe. Denn theoretisch kommt beinahe jeder als Rekonstruktionskandidat in Frage. Es bedarf, mit anderen Worten, forschungsleitender Prinzipien, die helfen, die reine Intuition zu vermeiden und eine vollkommen mechanische Deutung zu überwinden.
Der hier vorgeschlagenen Ansatz ist mehrdimensional, interdisziplinär und quantitativ. Da nun archäologische Daten verhältnismäßig sicher der historischen Epoche zugeordnet werden können, deren toponymische Kontinuität in Frage steht, liegt es methodisch nahe, sich zunächst grundsätzlich an räumlichen Verdichtungen dieser Daten zu orientieren. Genauer gesagt sollten Grabungsfunde, epigraphische Funde und Namen mit gesicherter Kontinuität (der eben genannten Gruppen [1] und [2]) synoptisch zusammengeführt werden. Daraus ergibt sich bereits ein bemerkenswertes Raumbild:
neue synoptische Karten: Nordalpine Kontinuität, Kontinuitätsraum Allgäu
Namenkontinuität, Epigraphik, Archäologie und die Toponymie als Unbekannte
Aus der Kombination der Datentypen im VA-Untersuchungsgebiet ergeben sich hochgradig verdichtete Belegräume, namentlich das Salzburger Becken und der östliche Chiemgau: hier finden sich zahlreiche epigraphische Zeugnisse, Ortsnamen aus der Tabula Peutingeriana mit Kontinuität (Kuchl < Cuculle), Bezeichnungen von Romanen (Wals, Wallersee) sowie frümittelalterliche Funde in so großer Zahl, dass eine romanische Kontinuität bis ins Mittelalter nicht in Frage gestellt werden kann (vgl. Reiffenstein 1991).
Es eröffnen sich hier mehrere großräumige und kleinräumige Forschungsperspektiven, die mehr oder weniger systematisch verfolgt werden können. So müssen lokal gesicherte Namen im Hinblick auf regionale oder gar großräumige Verbreitung ihres Typs überprüft werden. In kleinräumiger Perspektive ist es dagegen notwendig mechanische Herleitungen in Frage zu stellen, um lokale Korrespondenzen nicht zu übersehen.
Das Exempel saloca | Sallach – und seine Implikationen
Dazu ein Beispiel. Unter den Orten der Tabula Peutingeriana mit unbestreitbarer Namenskontinuität ist Sallach, das zu Pörtschach am Wörther See in Kärnten gehört. Der Name ist in der Tabula als Saloca bezeugt:
Sucht man nun weitere Orte dieses Namens sowie der Variante Salach ergibt sich die folgende Liste:
- Sallach (Katastralgemeinde von Pörtschach am Wörthersee, Kärnten).
- Salach (Lesachtal, Kärnten)
- Langensallach Ort (Dorf) (Gemeinde Schernfeld, Kreis Eichstätt, Oberbayern)
- Sallach Ort (Weiler) (Gemeinde Uffing am Staffelsee, Garmisch-Partenkirchen, Oberbayern)
- Sallach Ort (Dorf) (Gemeinde Rimbach, Kreis Rottal-Inn, Niederbayern)
- Sallach Ort (Kirchdorf) (Gemeinde St. Geiselhöring, Straubing-Bogen, Niederbayern)
- Sallach Ort (Weiler) (Gemeinde Zell, Kreis Cham, Oberpfalz)
- Sallach Ort (Weiler) (Gemeinde Niedermurach, Kreis Schwandorf, Oberpfalz)
- Sallach Ort (Kirchdorf) (Gemeinde St. Rain, Donau-Ries, Schwaben)
- Burgsalach Ort (Pfarrdorf) (Gemeinde Burgsalach, Kreis Weißenburg-Gunzenhausen, Mittelfranken)
- Salach Ort (Weiler) (Gemeinde Roßhaupten, Kreis Ostallgäu, Schwaben)
- Eislingen-Salach (Gemeinde) (Landkreis Göppingen, Baden Württemberg)
- Sallach (bei Vöcklabruck, Oberösterreich)
Bis auf 7. und 8. liegen alle Orte südlich des Limes.
Es ist bemerkenswert, dass es sich in allen vier Fällen um kleine, gelegentlich nur aus wenigen Häusern bestehende Siedlungen handelt; übrigens gilt das auch über das Untersuchungsgebiet hinaus, denn der Name führt im ehemals römischen Gebiet zwar gelegentlich auf etwas größere antike Ansiedlungen, z.B. Kastelle, zurückführen, aber niemals auf wichtige oppida oder gar auf municipia. Nimmt man diesen Befund ernst, ist Sal(l)ach geradezu ein Indikator für ländliche Siedlungskontinuität.
Mehrere dieser Orte (1., 3., 4., 9., 10., 12) sind in ein regionales Umfeld eingebettet, das Daten aus unterschiedlichen der genannten Kategorien (Epigraphik, Namen mit erwiesener Kontinuität, Walchen-Namen, frühmittelalterliche Funde) gekennzeichnet ist und oft kombinierte Daten an ein und demselben Ort aufweist.
Lediglich ein Ort, genauer: zwei Bergbauernhöfe liegen in einem Tal, das gemessen an den erfassten Daten keine weiteren Hinweise auf eine römisch-romanische Besiedlung aufweist:, nämlich Salach ([2.] Lesachtal, Kärnten).
Unmittelbar nördlich des VA-Untersuchungsgebiets liegt der Ort 13. Sallach ([13.] bei Vöcklabruck, Oberösterreich). Hier befinden wir uns im Zentrum der Provinz Noricum, in der Nähe von Vöcklabruck, das wiederum den Flussnamen Vöckla trägt, der schon um 790 n.Chr., in der Notitia Arnonis, unter Hinweis auf dort lebende Romanen erwähnt wird; in dieser Urkundensammlung wird in einer Schenkung von Herzog Theodo III. (*770 – + nach 793) an das Erzstift Salzburg von 'Romanen mit ihren fünf tributpflichtigen Häusern am Fluss Vöckla im Attergau' gesprochen („in pago Atragaue secus torrentem Fecchelisaha Romanos et eorum manses tributales V“). Damit wäre romanische Kontinuität über das Salzkammergut hinaus auch in Oberösterreich gesichert.
Selbst das erwähnte, nördlich des Donaulimes gelegene Sallach (8.) ist bemerkenswert, denn es liegt in der Gemeinde Niedermurach und im Fall dieses Ortsnamens stellt sich ebenfalls die Frage nach der Deutung: Soll man das Suffix im Sinne des ahd. –aha 'Wasser‘ (wie in den Flussnamen Wertach, Leitzach usw.) deuten, oder im Sinne des galloromanischen –acum, das oft die Zugehörigkeit zu einer Person bezeichnete? Im zweiten Fall läge es nahe an Maurus + –acum zu denken, wozu auch Maurach am Achensee passt.
Nun gibt es auch Belege außerhalb Bayerns und Österreichs, die eine solche Annahme stüzen könnten; weiterführend ist der Hinweis auf Sallach bei Metz in Lothringen und seine französische Entsprechung Sailly. Denn sie legt es nahe, auch die anderen gleichlautenden Toponyme in Frankreich dem Typen Salacum zuzuschlagen; das franz. Suffix –y ist die lautgesetzlich normale Entwicklung von lat. -acum, wie die Dubletten des Typs südfranz. Aurillac und nordfranz. Orly (beide < lat. Aureliacum) zeigen. Die Bildung ist oft, wie in diesem Beispiel, als Verbindung eines Personennamens mit einem Zugehörigkeitssuffix zu verstehen. Die in Frankreich sehr zahlreichen Ortnamens dieses Typs erlauben es, den Tabula-Namen Saloca bei Pörtschach ebenfalls als (verschriebene?) –acum–Bildung zu interpretieren. Eine Übersicht der Belege für -acum in der Tabula Peutingeriana folgt.
Wenig klar ist die Basis sal, die der Derivation zugrunde. Eine rein formale Abfrage im Gesamtbestand der Tabula-Peutingeriana-Toponyme ergibt zunächst folgende, nicht ganz konsistente Liste: Daraus lassen sich etliche Fälle aussondern, in denen sal anscheinend zu einem anderen Stamm gehört, u.a.:- zu sal, -is 'Salz', wie in Saleborna (heute Castiglione della Pescaia), mit Referenz auf einen antiken Salzsee an der Mündung der Flusses Borna, heute Bruna, oder wie in Salinis/Salinas
- zu salvia in Vrbesalvia (heute Urbisaglia)
- zum Provinznamen Θεσσαλία in Tessalonice
Es bleiben aber in jedem Fall drei relevante morphologische Typen, die sich durch andere Quellen bestätigen lassen:
- sal in Verbindung mit anderen Suffixen, wie in:
- Salodurum, heute Solothurn, mit dem ebenfalls keltischen und im Tabula-Peutingeriana-Bestand nicht ganz seltenem Suffix -durum; mmm
- Salomaco, heute Salles, mit dem keltischen magos 'Feld', zu dem die Tabula einige Beispiele belegt;
- mit dem Suffix -ona in Salona, heute Solin bei Split in Dalmatien; der Ort ist wegen des Palastes von Diokletian berühmt; das Suffix ist gut dokumentiert:
- vielleicht mit -untum in den beiden nicht eindeutig lokalisierten Sallunto-Belege in der Provinz Dalmatia sowie vielleicht in Solvnto. Auch dieses Suffix ist darüberhinaus noch mit anderen Basen belegt .
- sal in Verbindung mit anderen selbstständigen Wörten, wie Salerno, das den Flussnamen Irno enthält;
- salo mit vorangestelltem und zusammenschriebenem vetus 'alt' (in Pannonien).
Diese Liste lässt sich um Namen ergänzen, die außerhalb der Tabula Peutingeriana belegt sind, wie z.B.:
- Salācia "Municipium der Turdetaner in Lusitanien" (Georges 2456);
- Salpīnātēs "Stadtgemeinde in Etrurien" (Georges 2466);
- Salmōna "Fluss in Gallien, der in die Mosella (Mosel) fließt" (Georges 2462)
Entscheidend ist, dass alle genannten, morphologisch mehr oder weniger klaren Derivationen und Kompositionen eine selbstständige Basis voraussetzen, die ebenfalls in der Tabula belegt ist, nämlich in:
- Sala, auch Sala Colonia, dem heutigen Rabat in Marokko.
Wie sind deutsche Toponyme des Typs Saal zu deuten?
Auch dazu gibt es im österreichisch-bayerischen Raum ein Pendant, nämlich den Typ Saal, der in der Regel im Sinne des Appellativs deu. Saal gedeutet wird oder aber mit den 'alteuropäischen' Hydronymen des Typs Saale in Verbindung gebracht wird (vgl. auch den Fluss Saalach im Salzburger und Berchtesgadener Land); letzteres ist zweifellos sinnvoll für Saalburg(-Ebersdorf) und Saalfeld in Thüringen, die an der Saale liegen. Schon für das Kastell Saalburg am Obergermanischen Limes auf der Taunushöhe ist diese Herleitung jedoch nicht plausibel. Vor allem fällt die geographische Nähe mancher Saal-Namen zu den Sallach-Namen auf; die Reihung von drei Limeskastellen Saalburg, Burgsalach und Untersaal am obergermanischen Limes dürfte kaum dem Zufall entspringen. Dazu zwei weitere, limesferne Beispiele:
Maria Saal in Kärnten
Der Ort liegt ganz in der Nähe des Municipiums Virunum, der von Claudius gegründeten Hauptstadt der Provinz Noricum und ihrer Vorgängerin, der Stadt auf dem Magdalensberg, also in einer sehr intensiv romanisierten Gegend.
Saalfelden am Steinernen Meer
Dieser Ort liegt im Pinzgau, einer ebenfalls intensiv romanisierten Region mit starken keltischen Spuren; insbesondere sind die Ausgrabungen am Biberg zu erwähnen.
"Im 8. Jahrhundert wurde das älteste Güterverzeichnis der Salzburger Kirche angelegt. Mit diesen Aufzeichnungen wurde die Bedeutung des Salzburger Gründerheiligen Rupert als Apostel der Bayern dokumentiert. Dieses Güterverzeichnis bringt auch die erste schriftliche Nachricht über Saalfelden und den Pinzgau. Darin wird berichtet, dass ein Priester namens Boso gewisse Ländereien an Orten im „Salzburggau“ (Saalfelden, Zell am See, Wals) übergeben hatte. Saalfelden ist namentlich genannt, ebenso der Fluss Saalach: „in Bisoncio, quod nunc Pinzgo dictur atque ad Salvet super Sala“ („in Bisoncium, das nun Pinzgau genannt wird, sowie nach Saalfelden an der Saalach“). (https://de.wikipedia.org/wiki/Saalfelden_am_Steinernen_Meer) vgl. Chronik der Gemeinde Saalfelden, Saalfelden 1992.
Die erste Erwähnung als Salvet entspricht genau dem Vetvsallo der Tabula – wenn man sie als verkürztes Salvetus mit nachgestelltem Adjektiv liest. Die Konstituente -feld in Saalfeld wäre vor diesem Hintergrund als eine volksetymologische Umdeutung des -vet in Salvet(us) zu deuten.
Karte: Sala, Salles, Saal, Sa(a)l(l)ach in der Toponmyie
Die Basis sal-
Angesichts der Situierung der deu. Ortsnamen auf Basis von sal- südlich des Limes drängt es sich auf, lateinisch-romanischen Ursprung oder zumindestens lateinisch-romanische Vermittlung anzunehmen. Es dürfte sich daher um dieselbe Basis handeln, die auch den genannten römischen Ortsnamen (Sala, Salona usw.) zu Grunde liegt. Ein wirkliches Etymon ist damit allerdings noch nicht identifiziert. Immerhin lassen sich im Licht des Gesagten bestimmte Kriterien formulieren, denen eine Herleitung genügen muss:
- Wegen antiker Belege scheidet die Annahme einer germanischen Grundlage aus; die ganze Diskussion wirft dagegen ein merkwürdiges Bild auf die kaum in Frage gestellten Ableitung der italienischen Ortsnamen des Typs Sala vom langobardischen bzw. fränkischen *sal, wie überhaupt die germ. Etymologie der romanischen Appellativa (franz. salle, it. sala usw.) nicht wirklich überzeugt.
- Trotz der Verbindung mit den genannten keltischen Elementen (magos, durum, -acum) passt die Verbreitung von Mauretanien, über Süditalien bis Dalmatien nicht gut zur Annahme eines keltischen Grundwortes.
-
Das einzige lateinische Etymon, das formal in Frage kommt, passt semantisch nicht:
"lat. salum [...] I. 1) eig. v. Meere, a) das offene, hohe Meer [...] b) das Meer übh. c) übtr., die Strömung eines Flusses" (Georges 2467 )
- Es bleibt daher nur die Konsequenz, ein nicht bezeugtes lateinisches *salum 'kleinere Siedlung, kleineres Kastell, Landgut' oder in ähnlicher Bedeutung anzunehmen; denkbar ist allerdings auch galloromanischer Ursprung mit sekundärer Verbreitung über das Lateinische (analog zu gallisch carrus 'Wagen', das früh gesamtromanische Verbreitung gefunden hat).
Bibliographie
- Reiffenstein 1991 = Reiffenstein, Ingo (1991): Vom Sprachgrenzland zum Binnenland. Romanen, Baiern und Slawen im fühmittelalterlichen Salzburg, Stuttgart, in: Bleumer, Hartmut/ Franceschini, Rita/ Habscheid, Stephan/ Werber, Niels (Hrsg.): Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, vol. 21, Metzler, 40-64
- Scardigli 2006 = Scardigli, Piergiuseppe: Volcae, Berlin/New York, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA), vol. 32, de Gruyter, 563–564
- Schwarz 1970 = Schwarz, Ernst (1970): Baiern und Walchen, München, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, vol. 33, C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, 857-938.. Link